365 Tage – 365 Fotos
Von einer Idee zum fertigen Bildband
BURGDORF (bg). Im Jahre 2019 hat sich die Fotografin Susanne Rost (56) aus Burgdorf spontan vorgenommen, ein Jahr lang jeden Tag ein Foto zu machen. Daraus sollte später ein Bildband mit dem Titel „365“ entstehen. „Nichts unbedingt Neues, aber für mich eine Herausforderung“, so die Fotografin. Wir haben mit ihr ein einstündiges Interview geführt und die Entstehungsgeschichte verfolgen können.
Schon als junges Mädchen hat sie sich mit der Fotografie auseinandergesetzt. Analog, schwarz-weiß und mit einem eigenen kleinen Labor. Dann war nach ein paar Jahren Schluss. Fotografie war nicht mehr ihr Thema. Erst vor 10-15 Jahren hat Susanne Rost dann ihr analoge Kamera wieder zum Leben erweckt.
Für sie änderte sich mit einer Digitalkamera, die sie geschenkt bekam, das Verhältnis zur Fotografie. Obwohl die grundsätzliche Bedienung zwischen analogen und digitalen Kameras im Prinzip gleich geblieben ist, war sie nach ihren Aussagen etwas mit der neuen Technik überfordert. Da sie sich nicht als Autodidaktin sieht, holte sie sich durch Fachbücher und Kursen an der Volkshochschule das für sie benötigte Hintergrundwissen. Ein Virus war geboren – der Fotografievirus –, ansteckend und wenn man die Leidenschaft entwickelt, eine dauerhafte Leidenschaft auf Lebenszeit. Die selbst gesteckten Herausforderungen wuchsen von Tag zu Tag. Immer neue kreative Ziele mussten her. Die Suche nach dem einen Foto, was jeden Fotografen und sich selber zufrieden stellt, begann. Ein weiter Weg.
Susanne erzählt: „Die größte Herausforderung für mich ist und war, die Bilder, die ich im Kopf habe, in einem Foto zu verwirklichen. Die Technik habe ich inzwischen im Griff. Ich gehe gar nicht gezielt los, um eine Idee zu verwirklichen. Mein eigenes Bild muss mich berühren. Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, fotografisch zu sehen. Mit der eigenen Entwicklung hat man die Fähigkeit bekommen, Bilder im Voraus im Kopf entstehen zu lassen“.
Auf die Frage, ob es bei ihr auch immer wieder einen „fotografischen Stillstand“ gebe, sagte sie:“ Ich habe häufig das Gefühl, ich komme nicht weiter. Meine Bilder entwickeln sich nicht. Ich entwickel mich nicht weiter. Mit einem gewissen eigenen Abstand sehe ich dann aber schon, es geht Schritt für Schritt voran.“ Ob es ein Ziel für sie gebe? „Ein Ziel… ich weiß nicht. Da bin ich mir nicht sicher. Vielleicht ist der Weg das Ziel.“ Nach jedem Berg kommt ein neuer Horizont
Die Idee mit einem eigenen Bildband und den 365 Tagen hat sie immer wieder zuerst verworfen. Dann, am 5. Juni 2019, fing sie spontan das Projekt „365“ an. „Mir war klar, dass dieses Buch eine persönliche Herausforderung darstellte. Man benötigt Durchhaltewillen und vor allem unglaubliche Selbstdiziplin.“ Jeden Tag musste ein Foto entstehen. Motive gab es genug, aber reichten die Susanne? „Manchmal konnte ich nicht einschlafen? Habe nachgedacht. Über den nächsten Tag, das nächste Motiv. Würde ich es finden? Reicht es meinen Ansprüchen? Ist das vielleicht doch schon das Ende meines Projektes?“
Häufiger war sie kurz vor dem Aufgeben. Der Sinn wurde plötzlich in Frage gestellt. Ihr Mann Michael, selber leidenschaftlicher Fotograf, war in diesen Tagen immer ihr größter Motivationsfaktor. Besonders schlimm waren für sie die letzten 10 Tage. „Ich hatte das Gefühl, die Fotos würden immer schlechter. Mich quälte die Fertigstellung. Ich wollte, dass es endlich aufhört.“, so Susanne. Im Nachhinein sind gerade die letzten Aufnahmen interessant und gelungen. So sieht sie es heute auch, wenn sie den 330 Seiten dicke Bildband für sich durchblättert. Er ist textlich mit eigenen Gedanken und Anmerkungen zusätzlich versehen. Viele von ihren Fotos sprechen aber für sich. Erzählen eine eigene kleine Geschichte in ihrer Bildsprache. Es gibt nur zwei Bände. „Der Bildband ist für mich persönlich. Ein Abschluss für eine lange Zeit mit Zweifeln und Ängsten, sein gestecktes Ziel zu erreichen“, sagt Susanne. Und sie hat es erreicht. Daran besteht kein Zweifel beim Betrachten ihrer Bilder. Vielleicht gibt es irgendwann einmal eine Ausstellung. Ob sie sich das vorstellen könnte, frage ich sie. Susanne zögert: „Weiß nicht, wen interessieren denn meine Bilder? Ja vielleicht, mal sehen.“ Sie geht mit sich sehr kritisch um. Kann es nicht glauben, dass viele Fotos von ihr etwas Besonderes haben. Man entdeckt kleine Details, die dem nicht fotografischen sehenden Auge verborgen bleiben. Dabei stechen ihre Bilder zum Teil gerade wegen der Details heraus. Sie zeigt das Leben, so wie sie es sieht. Eigentlich schon immer ihr persönliches Ziel. Das Leben einfangen und Personen fotografieren. In ihrem Umfeld. Unbeeinflusst von gestelltem Bildaufbau.
Die Entstehung der Aufnahmen fielen nach knapp einem halben Jahr in die Anfänge der Corona-Pandemie. Ob sie das behindert hat? „Sicherlich. Plötzlich ist alles anders. Wir verändern uns. Die Welt verändert sich. Ich bin auf Landschaften ausgewichen, aber das ist nicht meine Welt. Plötzlich waren da leere Regale. Ein neuer Blickwinkel entstand. Aber Corona hat mich auch gehemmt. Man merkte die Distanzierung unter den Menschen. Die Vorsicht und Skepsis gegenüber dem Mitmenschen. Masken dominieren die Persönlichkeit und man stellt eines fest. Die Augen – Fotografen wissen das – sind einer unserer Hauptkontakte zur Aussenwelt. Sie zeigen Lächeln, Verzweiflung, Ängstlichkeit und Freude.“, erzählt Susanne.
Wie ihre weiteren Ideen aussehen? Dazu ließ sie eine Antwort mit einem Lächeln schuldig. Es lohnt sich, diese Fotografin zu beobachten. Nach über einer Stunde endet unser Interview. Mit vielen persönlichen Eindrücken und einer spürbaren Begeisterung von ihr für die Fotografie.
Ihr Buch begann und endete übrigens mit einem Foto ihres persönlichen Blicks in den Außenspiegel ihres Autos. Vielleicht sollte er uns sagen, schau auch hinter dich, um alles zu entdecken und zum Schluss einen Rückblick auf die vergangenen 365 Tage, die sie hinter sich gelassen hat. Mit 365 ganz persönlichen Eindrücken.
In der heutigen schnelllebigen Zeit hat sich das Gesicht der Fotografie durch Digitaltechnik und Handys stark gewandelt. Millionen von Schappschüssen werden jeden Tag geschossen und schnell in die Social Medias hochgeladen. Dabei fangen unsere Augen an, dass besondere Sehen einer Fotografin oder eines Fotografen langsam zu verlieren. Vielen Bildern fehlen die Aussagekraft. Sie sind nicht besser oder schlechter – sie sind einfach anders. Das ist auch ein Grund für Susanne Rost, ihre Fotos nicht so stark der Öffentlichkeit zu präsentieren, die nach ihren eigenen Aussagen schnell in der Masse untergehen. Ein kurzer Blick und dann der nächste Klick. Likes sind wichtiger als die Betrachtung einer Bildaussage in aller Ruhe. Ein Tribut, denn wir mit unserer digitalen Sichtweise leider bezahlen müssen. Vielleicht sogar eine Gefahr für die ursprüngliche Art der Fotografie.
Ein paar Impressionen aus ihrem Buch „365“ hat Susanne Rost uns zur Verfügung gestellt.