Cell Broadcast soll das zukünftige Warnsystem bei Katastrophen verstärken
HANNOVER (bg). Die Hochwasserkatastrophe im Rheinland hat es mehr als deutlich gezeigt. Warnungen, so z.B. vom Deutschen Wetterdienst oder über die Warnapps KATWARN und NINA, wurden zwar zum Teil frühzeitig ausgelöst, aber von vielen Bürger*innen nicht empfangen oder teilweise auch ignoriert. Nun soll das Warnsystem Cell Broadcast ab Mitte 2022 flächendeckend zur Verfügung stehen.
Doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich beim jetzigen System einige Stolperfallen. So sind die derzeitigen Warnsysteme über Handy an die Installation von Drittprogrammen wie KATWARN oder NINA gebunden. Auch die Warnapp des Deutschen Wetterdienstes ist eine separate Anwendung auf dem Handy. Sollte das Handy stumm geschaltet sein, so wird die Warnung erst beim nächsten Mal auf dem Bildschirm angezeigt. In der Nacht kann dieses fatale Folgen des zu späten reagieren haben. Viele Menschen laden ihre Handys nachts in der Küche oder im Wohnzimmer. Sie wollen verständlicherweise beim Schlafen ihre Ruhe. Bei plötzlich eintretenden Gefahren wie Hochwasser gibt es dann ein böses Erwachen bei diesem Vorgehen.
Die Telekom befürwortet die Einführung eines SMS-Warnsystems in Deutschland. „Cell Broadcast, also die Warnung per SMS, muss ein Teil des Warnsystems sein. Wir können das System aufbauen“, schrieb Tim Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, auf der Social-Media-Plattform „LinkedIn“. An einer möglichen Ausschreibung des Bundes werde sich die Telekom selbstverständlich beteiligen. Cell Broadcast ist ein Mobilfunkdienst zum Versenden von SMS-ähnlichen Nachrichten an alle Mobiltelefone innerhalb einer Funkzelle oder einer Gruppe von Funkzellen im jeweiligen Mobilfunknetz. Die Einführung erfordert Vorsysteme. Es muss ein „Cell Broadcast Center“ implementiert werden, über das zielgerichtet der Versand von Warnmeldungen angestoßen wird. Zudem muss das System gegen Angriffe Dritter geschützt werden, um den Versand falscher Meldungen zu vermeiden.
Mit Hilfe von Cell Broadcast bekommen alle Besitzer eines Mobiltelefons in einem gefährdeten Gebiet automatisch eine Textnachricht, ohne dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) oder andere Behörden deren Nummern haben. Es gibt auch keine Rückmeldung der Handys über den Empfang der Alarmnachricht. Das System gilt als verlässlich und datenschutzrechtlich unbedenklich. Sicherlich wird man sich damit vor Milliardenschäden nicht schützen können. Aber es gilt Menschenleben durch frühzeitige Warnung zu retten. Andere Länder betreiben dieses System schon seit Jahren erfolgreich wie die Niederlande, Japan oder die USA.
Ein unbestreitbarer Vorteil ist die Alarmierung durch eine berechtigte Behörde an alle Personen mit Handy, die sich in den betroffenen Funkzellen befinden. Unabhängig von jeweiligen Netzanbieter und dem Einstellstatus des eigenen eingeschalteten Handys. Selbst bei Stummschaltung wird die Alarmierung mit einem Signalton ausgelöst und die Nachricht auf dem Handybildschirm sofort angezeigt.
Wie das Cell Broadcast funktioniert, zeigt eine Grafik der Telekom:
Katastrophenschützer sehen die freiwillige Nutzung von Warnapps mit Skepsis. So wurde NINA bisher nur von ca. 9 Millionen Bürger*innen installiert. Auch der Anteil der Sirenen ist von ursprünglich mehr als 80.000 auf knapp 15.000 in der Bundesrepublik zurück gegangen. Hintergrund war die zunehmende Ausrüstung der Feuerwehren mit digitalen Funkmeldeempfängern, die Einsatzkräfte „still“ alarmieren können. Zudem war auch die militärische Bedrohung durch den kalten Krieg erheblich gesunken, bei der die Bevökerung durch Sirenen gewarnt werden sollte.
Es muss also wieder auf eine Kombination von unterschiedlichen Warnsystemen gesetzt werden. Unabhängig von der Freiwilligkeit bei der Nutzung von Warnapps. So wäre eine Kombination von Cell Broadcast, Sirenenalarmierung und rechtzeitiger Vorabinformation über Warnapps, Rundfunk und Fernsehen wohl eine gute Kombination. Die EU hat die Umsetzung von Cell Broadcast mit einer Richtlinie schon im Dezember 2018 verbindlich bis spätestens Mitte 2022 gefordert.
So lautet der Artikel 110 in der RICHTLINIE (EU) 2018/1972 vom 11. Dezember 2018:
Artikel 110
Öffentliches Warnsystem
(1) Die Mitgliedstaaten stellen bis zum 21. Juni 2022 sicher, dass dort, wo öffentliche Systeme vorhanden sind, die vor drohenden oder sich ausbreitenden größeren Notfällen und Katastrophen warnen, die Anbieter von mobilen nummerngebundenen interpersonellen Kommunikationsdiensten den Endnutzern öffentliche Warnungen übermitteln.
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 können die Mitgliedstaaten festlegen, dass öffentliche Warnungen über öffentlich zugängliche elektronische Kommunikationsdienste, bei denen es sich weder um die in Absatz 1 genannten Dienste noch um Rundfunkdienste handelt, oder über eine über einen Internetzugangsdienst verfügbare mobile Anwendung übertragen werden, sofern die Effektivität des öffentlichen Warnsystems in Bezug auf Abdeckung und Kapazität zur Erreichbarkeit der Endnutzer, auch derjenigen, die sich nur zeitweilig in dem betreffenden Gebiet aufhalten, gleichwertig ist; dabei tragen sie den GEREK-Leitlinien weitest möglich Rechnung. Öffentliche Warnungen müssen von den Endnutzern leicht empfangen werden können.
Die Umsetzung in diesem Sinne erfolgte allerdings durch die Bundesregierung bislang nicht. Angesichts des Anschaffungspreises von 30 Millionen Euro laut der Telekom steht das in keinem Verhältnis zu den vielen Todesopfern, die alleine bei dem Hochwasser 2021 zu beklagen sind. Und die plötzliche Bereitschaft zur Umsetzung schein nur rein zufällig mit dem Termin der EU zur Umsetzung bis zum 21. Juni 2022 zu stehen. Da muss sich die Politik und alle Verantwortlichen kritische Fragen gefallen lassen.
Die Änderung des Klimas und dessen zum Teil fatale Folgen auch in Deutschland müssen hier zu einem erheblichen Umdenken in der Politik führen. Nicht nur zum Thema Warnung der Bevölkerung oder Klimaschutz. Das ganze Katastrophenschutzsystem in Deutschland wird sich in Zukunft anderen Herausforderungen stellen müssen. Die hunderttausende von ehrenamtlichen Katastrophenschützern sind jedenfalls bereit. Ist es ihre Ausrüstung, die notwendige Technik und vor allem die erforderliche notwendige Wertschätzung ihrer Arbeit auch?