Innovatives Projekt zur Energiewende
HANNOVER (PM). Die Landeshauptstadt Hannover bringt ein innovatives Modellprojekt zur Herstellung und Nutzung von Wasserstoff auf den Weg. Die Stadtentwässerung soll Produzentin dieses als Energieträger der Zukunft bezeichneten Produktes werden. Im Rahmen eines geplanten Projekts mit einem Investitionsvolumen von rund elf Millionen Euro will der städtische Eigenbetrieb mittels des Wasserelektrolyse-Prozesses auf dem Großklärwerk im Stadtteil Herrenhausen Wasserstoff herstellen.
Das Besondere und Zukunftsweisende an diesem Projekt ist, dass alle bei diesem Vorgang entstehenden Produkte genutzt werden sollen, um die die eingesetzte Energie optimal zu verwenden. Kernprinzip ist dabei die sogenannte Sektorenkopplung: Neben dem Wasserstoff, der unter anderem als Treibstoff für Busse im öffentlichen Personennahverkehr sowie für Logistik-Fahrzeuge genutzt werden kann, entstehen als Nebenprodukte Sauerstoff und Abwärme. Die entstehende Wärme will enercity durch Einspeisung ins Fernwärmenetz nutzen. Einen neuen Aspekt der Wasserstoffproduktion stellt dabei die Nutzung des Sauerstoffs sowie von gereinigtem Abwasser statt Trinkwasser dar. Den Sauerstoff will die Stadtentwässerung im Klärwerksprozess einsetzen. Hierfür sind weitere Forschungsarbeiten in Zusammenarbeit mit der Leibniz-Universität nötig, die Bestandteil des Projektes sind.
Für die Umsetzung dieses Vorhabens sollen Fördermittel aus der Wasserstoffförderung des Landes beziehungsweise der Technologieoffensive Wasserstoff des Bundes beantragt und eingesetzt werden. Darüber hinaus ist das Projekt so angelegt, dass sich die Zukunftsinvestitionen wirtschaftlich selbsttragen sollen. Im Falle einer Zuwendung ist geplant, die Produktionsstätte bis 2024 aufzubauen und spätestens im Jahr 2025 den Regelbetrieb zu starten. Das Vorhaben ist ein Verbundprojekt der Stadtentwässerung Hannover gemeinsam mit dem Elektrolyseanlagenhersteller Aspens, dem Institut für Elektrische Energiesysteme (IfES), dem Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik der Leibniz Universität Hannover (ISAH) sowie dem Institut IWAR der Technischen Universität Darmstadt und enercity. Unterstützt wurden die Projektpartner durch die gemeinsame Wirtschaftsförderungsgesellschaft hannoverimpuls von Landeshauptstadt und Region Hannover sowie die EMCEL GmbH, Ingenieurbüro für Brennstoffzelle, Wasserstofftechnologie und Elektromobilität. Daneben kooperiert die Stadt mit der Region Hannover, Üstra und Regiobus. Die IHK Hannover und der Unternehmerverband Niedersachsen unterstützen das Zukunftsprojekt ebenfalls.
Wasserstoff als Perspektive für zukunftsorientierte Großstädte
„Wasserstofftechnologie und optimierte Energieeffizienz sind wichtige Bausteine klimaneutraler Mobilität und eines besseren Umgangs mit den Ressourcen. Die Nutzung von gereinigten Abwasser sowie den Einsatz des entstehenden Sauerstoffs in den Klärprozess sind wirklich innovative Ansätze, mit denen Hannover einen guten Schritt in die Zukunft macht“, lobt Oberbürgermeister Belit Onay und ergänzt: „Die innerstädtische Produktion von Wasserstoff bietet den großen Vorteil, dass der Energieträger auf kurzem Wege hier eingesetzt werden kann. Damit können wir eine regionale Energiewende vorantreiben.“
Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Olaf Lies zeigt sich begeistert von dem Projekt: „Niedersachsen hat ein hohes Interesse, dass wir die Wasserstoffwirtschaft voranbringen. Das Vorhaben zeigt ideal, wie neben Wasserstoff auch der anfallende Sauerstoff genutzt werden kann. Solch eine sinnvolle Sauerstoffnutzung gibt es bisher nur in wenigen Vorhaben. Als Umweltminister freut mich, dass so auch eine bessere Abwasserreinigung ermöglicht wird. Mit dem Vorhaben kann in idealer Weise demonstriert werden, welche Chancen auch jenseits der Wasserstoffmobilität in der Technologie liegen.“
Innovatives Verbundprojekt mit bundesweitem Modellcharakter
„Besonders bemerkenswert an dem Projekt ist der Verbund aus Kommune, Forschung, Industrie und Wirtschaftsförderung“, sagt Sabine Tegtmeyer-Dette, Erste Stadträtin Wirtschafts- und Umweltdezernentin. „So stärkt der Technologietransfer von leistungsfähigen Forschungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit Partner*innen aus verschiedenen Branchen der Wirtschaft den Wirtschaftsstandort Hannover.“
Wasserstoff zur Nutzung in Bussen des ÖPNV und in der Logistik
Das Konzept sieht in einem ersten Schritt die Nutzung des Wasserstoffs für klimaneutrale Mobilität im öffentlichen Nahverkehr und in der Logistik vor. Daher sind die die Region Hannover sowie die Verkehrsunternehmen Üstra und Regiobus an dem Projekt beteiligt. Aktuelle Planungen der beiden Verkehrsunternehmen zur Beschaffung von Brennstoff-zellen-Bussen werden durch die geplante lokale Produktion von Wasserstoff vorangetrieben, weil die Produktion des Wasserstoffs die notwendige Versorgungssicherheit bietet.
Klärwerk der Zukunft – vom Stromfresser zum Energieproduzenten
Die Reinigung von kommunalem Abwasser in konventionellen Kläranlagen verbraucht erhebliche Mengen an Energie, hauptsächlich für den elektrischen Antrieb von Gebläsen für die großen Belüfter, die Mikroorganismen mit Sauerstoff versorgen. Damit sind die Kläranlagen mit über 20 Prozent des Gesamtverbrauchs einer städtischen Kommune der größte einzelne Stromverbraucher. „Allein in Deutschland werden jährlich insgesamt rund 4.400 Gigawattstunden Strom für die Abwasserreinigung verwendet. Das ist immerhin die Hälfte der Jahresproduktion eines großen Kraftwerks“, erläutert Matthias Görn, Leiter der Stadtentwässerung Hannover. „Wir sehen die Abwasserwirtschaft vor einem grundlegenden Wandel und wollen die Energieeffizienz deutlich steigern. Klärwerke der Zukunft können somit wichtige Impulse für die Energiewende in Deutschland leisten. Sauberes Wasser und zukunftsfähige klimaneutrale Energie können so gelingen.“
Modularer Ausbau
Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Ab 2025 ist der Regelbetrieb geplant. Zu Beginn sollen täglich circa 400 Kilogramm Wasserstoff produziert werden. Zur Einordnung: Damit könnten etwa 20 Busse am Tag befüllt werden. Das entspricht 150 Tonnen Wasserstoff im Jahr bei einer Elektrolyseleistung von einem Megawatt zu Beginn des Projektes. Im Falle positiver Ergebnisse plant die Stadtentwässerung Hannover die sukzessive Erweiterung. auf bis zu 17 Megawatt und somit bis zu etwa 2.500 Tonnen Wasserstoff im Jahr. Damit soll langfristig ein dezentraler Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in der Region vorangetrieben und zeitgleich die Energieeffizienz der Kläranlage erhöht werden. Neben Bussen sollen Nutzfahrzeuge vor allem aus dem Bereich Logistik den Wasserstoff nutzen können.
Forschungs- und Technologieprojekt mit Potenzial
Bei einer erfolgreichen Einbindung des Sauerstoffs in die Klärprozesse stellt das erarbeitete Konzept eine Blaupause für alle Kläranlagen mit gleichem Betriebsaufbau dar. Mit deutschlandweit mehr als 9.000 Klärwerken ist das potenziell erschließbare Geschäftsfeld enorm. Die Stadtentwässerung Hannover sowie die beteiligten Forschungsinstitute unterstützen einen Wissenstransfer an andere Entwässerungsbetriebe, Politik sowie Städte und Kommunen. Die Ergebnisse sollen dokumentiert und in Forschungsarbeiten veröffentlicht werden. Die gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse sollen als Wegweiser zu einer effektiven Sektorenkopplung an Klärwerken dienen.
Wirtschaftsförderung durch Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft
Der im Rahmen des Projektes erfolgte Wissensaufbau kann einen wichtigen Beitrag für die Dekarbonisierung und den Klimaschutz, für die regionale Wasserstoffwirtschaft und die lokale Wertschöpfungskette in Hannover und Umgebung leisten. Der Aufbau einer dezentralen Wasserstoffwirtschaft bietet beachtliche Potenziale für den Klimaschutz, die Versorgungssicherheit mit Energie, einen selbstbestimmten Strukturwandel sowie für die Schaffung einer verantwortungsvollen regionalen Wertschöpfung. Wasserstoff ist die Grundlage für den Transformationsprozess in ein postfossiles Zeitalter. Kläranlagen bilden ein flächendeckendes Netz, verfügen über qualifiziertes Personal und eignen sich als wichtiger erster Baustein für den Aufbau und die Dezentralisierung der zukünftig erforderlichen Wasserstoffinfrastruktur. Durch die geplante Wasserstoff-Abnahme durch Regiobus und Üstra leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung des regionalen Verkehres. Im Allgemeinen soll durch dieses Projekt und mit der anschließend geplanten Hochskalierung die Motivation weiterer Mobilitätsakteure in der Region ihre mittelfristige Investitionspolitik auf alternative Energieressourcen umzustellen. Somit unterstützt das Projekt auch auf dem Weg zum emissionsfreien Verkehr durch die Einführung der Brennstoffzellentechnologie. Die Sektorenkopplung an der Kläranlage durch die Abnahme des Wasserstoffs, des Sauerstoffs und der Abwärme der Elektrolyse ermöglicht die Transformation vom größten kommunalen Energieverbraucher zu einem zukunftsorientierten Umweltbetrieb.