Wenn es endlich wieder an die Ballettstange gehen darf
HANNOVER (bg). Vor zwei Wochen berichteten wir in einer Reportage über die Probleme in den Ballett- und Tanzschulen während der strikten Kontaktsperre. Damals zeigten wir die Möglichkeiten des digitalen Livetrainings mit den beiden Tanzpädagoginnen Nadine Campbell und Kirsten Eilmes.
Seit Montag darf wieder auch Indoor in den Ballettschulen unterrichtet werden. Die Auflagen sind umfangreich und teilweise schwierig umzusetzen. Laufwege müssen geplant werden und die Studioräume besitzen plötzlich abgeklebte Trainingsbereiche für die Schüler*innen der beiden begeisterten Trainerinnen.
In einem Interview haben wir sie und ihre Schüler*innen an dem ersten Trainingstag nun mit einem Bildbericht begleitet. Es waren alle Altersgruppen vertreten und man merkte ihnen an, wie sehr sie sich auf den Tag der Wiederaufnahme des Trainings gefreut hatten. Auch den Trainerinnen spürte man die Begeisterung förmlich an. Man wollte wieder starten… etwas für die tänzerische Ausbildung seiner Schüler*innen unternehmen.
Wir stellten Kirsten Eilmes (47), der Chefin der Ballettschule FUN-KEY Dance & Theatre aus Hannover, sowie Nadine Campbell (37), die ebenfalls auch in Celle die Tanzschule BODY TALK mit ihrem Vater John Campbell leitet, einige Fragen.
Wie haben Sie sich auf die Wiederinbetriebnahme ihrer Tanzschule vorbereitet und welche Arbeiten waren nötig?
Kirsten Eilmes hierzu: „Wochenlang habe ich verfolgt wann wir wieder aufmachen dürfen und vor allem mit welchen Auflagen. Als in NRW die Tanzschulen wieder öffneten, bin ich tagelang durch die Schule gegangen und habe Ideen für ein Hygiene-Konzept entwickelt. Glücklicherweise hatten wir noch Stellwände des Bühnenbilds unseres Musicals DAS VERLORENE LICHT. Damit habe ich den Durchgangsbereich aufgeteilt um ein Einbahnstraßen-System zu errichten damit sich die Gruppen, die kommen und gehen, nicht begegnen. Hinweisschilder mussten konzipiert, ausgedruckt und aufgehängt werden. Pfeile und Abstandsplätze im Wartebereich auf den Boden geklebt, sowie Begrenzungsfelder in den Ballettsälen. Die Jagd auf Desinfektionsmittel kostete ebenfalls Nerven, aber am Ende weiß man ja, wofür man es tut. Ich will endlich wieder meiner Berufung folgen. Über das Tanzen findet man sich selbst und die kleinen und großen Menschen, die hier im Fun-Key ein und aus gehen, spüren das!
Das Herrichten meiner Ballettschule hat tatsächlich mehrere Tage und auch Geld gekostet, doch die Sicherheit aller geht vor. On Top hatte ich noch ein Wertmarken-System entwickelt für alle verlorenen Stunden. Das musste natürlich auch noch vorbereitet werden.“
Auch Nadine Campbell hatte ordentlich in der Anlaufphase zu tun: „Die Hygiene Vorschriften waren zu allererst ein Puzzle welches man für jede Tanzschule entsprechend ihrer Räumlichkeiten und Stundenpläne individuell zu lösen galt. Es wurden Infos, verteilt, gedruckt, Plätze ausgemessen, beklebt informiert etc. Vor allem mussten neben dem organisatorischen viele Gespräche mit Kunden geführt werden, um einen gemeinsamen Start schaffen zu könne, denn man ist abhängig von der aktiven Mitarbeit jedes Einzelnen.“
Wie haben Sie den ersten Tag nach dem Lockdown als Trainerin empfunden? Welche Gefühle hat das bei Ihnen persönlich ausgelöst?
Kirsten Eilmes antwortete darauf: „Ich war gut vorbereitet auf das Vermitteln der Hygiene-Regeln, nur leider blieb kaum Zeit meinen Unterricht vorzubereiten. Doch als die ersten Schüler da waren, lief alles wie von selbst. Es war so eine Zufriedenheit zu bei den Tänzer*innen zu spüren. Endlich sich und vor allem die anderen wieder wahrnehmen und sich von der Gruppe tragen lassen. Das hat man nur im Ballettsaal.“
Vorsichtig aber mit Freude, so Nadine Campbell: „Man beginnt den Einstieg in den Unterricht mit einer gewissen Vorsicht, da man alle richtig machen möchte. Doch endlich wieder Unterricht zu erleben und seinen Schülern wieder in die Gesichter schauen zu können und sie zu bewegen ist unbezahlbar. Pure Freude, auch wenn man gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen muss, ist es eine Erleichterung wieder tanzen zu dürfen.“
Welche Erfahrungen und Beobachtungen haben Sie bei ihren Schüler*innen beim ersten Training gemacht?
Kirsten Eilmes kennt ihre Schüler: „Obwohl sich einige Schüler zuhause fit gehalten haben und auch Online Training mitgemacht haben ist viel verloren gegangen. Es ist halt nicht das gleiche wie Präsenzunterricht. Balance, Kraft und Technik sind verlorengegangen und man muss wieder ein paar Stufen tiefer ansetzen. Dennoch ist eine enorme Motivation bei allen zu spüren und ich denke, das wird es ganz schnell wieder wettmachen.“
Nadine Campbell hat das erste Training nach der Kontaktsperre hautnah als Trainerin miterlebt: „Bei den Jüngeren Mitgliedern herrscht eine gewisse Unsicherheit, da es neue Umstände sind, an die sich die Kinder erst gewöhnen müssen. Die Erwachsenen hingegen haben eine andere Reife und können somit mit anderen Grundvoraussetzungen in den Unterricht starten. Körperlich sind erfreulicherweise mehr als erhofft im Training geblieben. Balance und Kraft haben abgenommen, das war jedoch zu erwarten und stellt kein großes Problem da, denn nach wenigen Wochen gewöhnt sich der Körper erneut an die tänzerische Belastung. Wer mal einen Gips tragen musste, weiß wovon ich spreche. Wurde die Muskulatur 6 Wochen nicht beansprucht, minimiert sich der Muskel und seine Kraft schwindet, es braucht Zeit und etwas Geduld, um ihn wiederaufzubauen.“
Was sind ihre größten Befürchtungen oder Ängste nach der nun möglichen Wiederaufnahme des Trainingsbetriebes?
Kirsten Eilmes hat einige Sorge: „Ich befürchte, dass einige in der Lethargie ihres Social Distancing hängen bleiben und es nicht schaffen, sich wieder aufzuraffen, obwohl es ihnen guttäte. Es könnte zu einer Kündigungswelle führen. Außerdem kommen wir gerade geschäftlich sowieso in das Sommerloch, wo kaum neue Mitglieder kommen, doch die Mitgliederzahl schwindet unaufhörlich durch noch laufende Kündigungen. Meine ganz persönliche Angst ist aber, dass sich ein Corona-Verdachtsfall ereignet und die Ballettschule dann wieder schließen muss. Wie auch immer, alles kommt, wie es kommt und ich bin dankbar, dass ich endlich wieder der Arbeit nachgehen kann, die ich so liebe.“
Nadine Campbell fürchtet um einen Teil ihrer Kunden: „Leider hat sich der Kundenstamm verringert und einige Kunden kommen aus Angst vor dem Risiko sich anstecken zu können noch nicht wieder in den Unterricht. Ich erhoffe mir, dass sich das Legen wird und wir bald wieder stabile Zahlen haben, einen guten Trainingsstand haben, um bald wieder künstlerisch einsatzbereit zu sein. Ich hoffe, dass sich die Unsicherheit legen wird und wir wieder in den grünen Bereich kommen, der Anfang ist gemacht, darauf müssen wir nun aufbauen.“
In den vier Stunden Begleitung bei den ersten Trainingseinheiten, quer durch die Altersgruppen, hat man nur begeisterte Gesichter gesehen. Aber gerade bei den Kleineren merkte man auch deutlich, sie müssen sich erst an ihren neuen „Alltag“ mit den Einschränkungen gewöhnen. Erstaunlich war, ob Kind oder Erwachsener, niemand hatte Probleme oder fehlendes Verständnis für die vielen neuen Vorgaben. Unser Corona-Alltag ist ein Stück weit in unser Bewusstsein getreten und wird, vielleicht auch ein klein bisschen widerwillig, zur Realität.