Niedersächsischer Kampfmittelbeseitigungsdienst legt Jahresbericht für 2020 vor
HANNOVER (PM). Pistorius: „Dass es auch unter den erschwerten Bedingungen keine Verletzten gegeben hat, ist dem großen persönlichen Einsatz der Expertinnen und Experten zu verdanken“
2020 wurden in Niedersachsen rund 111 Tonnen Kampfmittel aus der Zeit der beiden Weltkriege in mehr als 1.100 Einsätzen geborgen und entsorgt. Das geht aus dem jetzt vorliegenden Jahresbericht des Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KBD) des Landes Niedersachsen hervor. 2019 waren es rund 133 Tonnen in gut 900 Einsätzen.
„Auch mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und trotz der durch die Corona-Pandemie verursachten Einschränkungen bei der Arbeit des KBD werden in Niedersachsen nach wie vor regelmäßig Kampfmittel gefunden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes sorgen auch in dieser außergewöhnlich fordernden Zeit zuverlässig und unter großem persönlichem Einsatz dafür, dass diese gefährlichen Sprengkörper entschärft und beseitigt werden“, sagt Niedersachsens Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius. „Jeder Munitionsfund und die damit verbundene Entschärfung stellt sowohl für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes als auch für die Bürgerinnen und Bürger immer eine besondere Gefahr dar. Dass es im vergangenen Jahr wiederum keinen einzigen Unfall oder Verletzte gegeben hat, ist ein eindrucksvoller Beleg für die Expertise und die herausragende Arbeit aller Beteiligten. Dafür bedanke ich mich ganz besonders bei den Expertinnen und Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes.“
Die Arbeit des KBD war im vergangenen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie nur eingeschränkt möglich, da das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport in Zusammenarbeit mit dem KBD Handlungsempfehlungen zur Vermeidung von Evakuierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Kampfmittelfunden an die zuständigen Gefahrenabwehrbehörden herausgegeben hatte.
Mehrere niedersächsische Kommunen, die in besonderem Maße von den Kriegshandlungen des Zweiten Weltkriegs betroffen waren, wie z.B. die Region Hannover und die Städte Braunschweig und Osnabrück, hatten daraufhin Allgemeinverfügungen erlassen, in denen sie die von hier gegebenen Handlungsempfehlungen für ihren Zuständigkeitsbereich konkretisiert hatten.
Erst Anfang 2021 konnten diese Maßnahmen wieder aufgehoben werden, so dass der KBD jetzt wieder verstärkt seinen Aufgaben, die gefährlichen Hinterlassenschaften der beiden Weltkriege zu beseitigen, nachgehen kann.
Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Zahl der entdeckten Blindgänger, die nicht mehr transportfähig waren, deutlich verringert. Im vergangenen Jahr musste bei 133 Einsätzen (2019: 219 Einsätzen) alte Munition direkt vor Ort gesprengt werden. In den vergangenen Jahren ist dabei auch die niedersächsische Nordsee vor allem durch den Bau von Offshore-Windparks und dem Ausbau von Kabeltrassen verstärkt in den Fokus gerückt. So wurden dort im letzten Jahr rund 7,35 Tonnen Weltkriegsmunition entdeckt, was nahezu einer Verzehnfachung der aufgefundenen Tonnage gegenüber dem Vorjahr entspricht (2019: rund 0,76 Tonnen). Darunter befand sich auch eine Seemine.
Weiterhin rasant ansteigend sind die auf Kampfmittelfreiheit überprüften Grundstücke bei beabsichtigten Bauvorhaben, die sich ohnehin schon auf sehr hohem Niveau bewegt haben. Mehr als 5.500 Anträge (2019: gut 3.600 Anträge) wurden im vergangenen Jahr ausgewertet.
Alte Munition wird im Laufe der Zeit nicht ungefährlicher, im Gegenteil: Alterungsprozesse und Korrosionseinwirkungen erhöhen oft die Gefahr einer plötzlichen Explosion. Gefunden wird Munition vielfach durch die Auswertung von Luftbildern oder auch zufällig, etwa bei Neu- oder Umbaumaßnahmen.
Gefährdet sind dabei immer wieder auch Kinder, Sammler und Schatzsucher oder das Personal aus Land- und Forstwirtschaft sowie von Tiefbau- und Metallrecyclingfirmen.
Ein Ereignis steht 2020 exemplarisch für die Gefährlichkeit der Kampfmittel in der Natur:
Ein Vater und sein Sohn hatten beim Magnetangeln im Stichkanal Linden in Hannover einen Blindgänger einer Brandbombe (INC 30lb) herausgefischt und mit nach Hause genommen, weil sie den Fund nach ihren Angaben mit einem alten Auspuff verwechselt hatten. Als der vermeintliche Auspuff nach zwei Tagen gereinigt werden sollte, entzündete sich der Inhaltsstoff, welcher aus weißem Phosphor bestand. Die sofort herbeigerufene Feuerwehr erstickte den Brandherd und zog den Kampfmittelbeseitigungsdienst hinzu, der die Brandbombe sicher verpackte und der Entsorgung zuführte. Aufgrund der Entwicklung giftiger Rauchgase kamen drei Personen vorsorglich ins Krankenhaus.
„Dieser Vorfall zeigt wieder einmal deutlich, wie gefährlich diese vermeintlich alten Kampfmittel – auch nach so langer Zeit im Boden – immer noch sind. Deshalb möchte ich dringend an alle Bürgerinnen und Bürger appellieren, sich beim Fund von Kampfmitteln sofort mit der zuständigen Gemeinde oder der Polizei in Verbindung zu setzen. Denn das unsachgemäße Hantieren mit diesen unbekannten Stoffen gefährdet neben dem eigenen Leben häufig auch das Leben anderer“, so Minister Pistorius.
Die Beseitigung von Weltkriegsmunition ist oft mit großen Einschränkungen und hohem Aufwand für die unmittelbar Betroffenen, aber auch die übrigen Beteiligten, wie beispielsweise die Hilfsorganisationen und die Sicherheitskräfte, verbunden. Pistorius weiter: „Deshalb möchte ich mich auch bei den vielen Helferinnen und Helfern sowie den Niedersachsen bedanken, die in den meisten Fällen mit viel Verständnis auf diese Situation und die zu treffenden Maßnahmen der Behörden reagieren. Mein Dank gilt auch den Kommunen, die als zuständige Gefahrenabwehrbehörden alles dafür tun, um die Bevölkerung vor möglichem Schaden zu bewahren.“