Die Nanas am Leineufer: Ein halbes Jahrhundert Straßenkunst und Frauenpower in Hannover
Von Kontroversen zu Kultstatus: Die Nanas feiern 50 Jahre als Symbol des Feminismus und Kunst im öffentlichen Raum
HANNOVER (PM). Ausladende Rundungen, leuchtende Farben: Seit 1974 gehören die drei Nanas Sophie, Charlotte und Caroline am Leineufer zu den begehrtesten Motiven im Straßenbild Hannovers. Die Nanas stehen bis heute für eine gelebte, sinnliche Weiblichkeit und sind Sinnbild des Feminismus. Aus diesem Grund feiert die Stadt Hannover 50 Jahre Nanas am Leineufer in diesem Jahr mit einem Fest am 8. März, dem Internationalen Frauentag, abends und am 9. März tagsüber.
50 Jahre nach der Aufstellung der kunterbunten Nanas setzt Kulturdezernentin Konstanze Beckedorf einen Schwerpunkt auf Kunst im öffentlichen Raum: „Wir reaktivieren die Idee des ‚Experimentes Straßenkunst‘ und beleben diesen Gedanken neu mit der Einsetzung von Nora Brünger als Kuratorin für Kunst im öffentlichen Raum.“
Für Hannovers Bedeutung als Kulturstadt ist die Kunst im öffentlichen Raum seit dem bundesweit beispielgebenden Straßenkunstprogramm „Experiment Straßenkunst“ der frühen 1970er Jahre prägend. Die Landeshauptstadt besitzt mit mehr als 180 Kunstwerken einen umfangreichen Bestand und versammelt eine bedeutende Anzahl renommierter Künstler*innen, darunter internationale Größen von Alexander Calder über Niki de Saint Phalle bis hin zu Daniel Knorr sowie auch regionale Namen wie Kurt Lehmann, Emil Cimiotti oder Siegfried Neuenhausen.
Ziel ist es nun an die innovativen Jahre des „Experiments Straßenkunst“ anzuknüpfen und neue Projekte zu initiieren. So wie Hannover bereits in den 1970er Jahren die Künste explizit auf die Straße gebracht hat, soll zukünftig das kreative Potential der Künste genutzt werden, um den veränderten Bedingungen des globalen und lokalen Wandels von Stadträumen zu begegnen und eine Stadtentwicklung durch Kultur voranzutreiben.
Die Aufstellung der drei bunten, voluminösen Figuren aus Polyester am hannoverschen Leineufer am 14. Januar 1974 hatte Proteststürme bei vielen Hannoveraner*innen ausgelöst. Die Wellen der Empörung schlugen hoch: Rund 20.000 Unterschriften sammelte eine Bürgerinitiative gegen „die Schnapsidee einer besoffenen Ratsherren-Stammtischrunde“ (HAZ-Leserbrief), sie nannten die Nanas eine obszöne Geldverschwendung und gar „Umweltverschmutzung“. Es gab aber auch Befürworter*innen, die Nana-Feten veranstalteten.
Damit brachten die Nanas eine – die erste – lebhafte und tiefgreifende Diskussion über Kunst im öffentlichen Straßenraum. Mit Happy End: Den Hannoveraner*innen sind ihre Nanas ans Herz gewachsen. Sie sind am Hohen Ufer das unumstrittene Lieblingskunstwerk der Stadt. Im Jahr 2000 wurde die Künstlerin Niki de Saint Phalle zur Ehrenbürgerin der Stadt ernannt.
Mit den Nana-Skulpturen antizipierte Niki de Saint Phalle Mitte der 1960er Jahre die aufkeimende Frauenbewegung. Durch die Signifikanz der Skulpturen und die schlüssige Legierung von Form und Inhalt gelangte sie gleichzeitig weit über den Feminismus hinaus zu einer ganzheitlichen Lebens- und Kunstauffassung, die sie mit ihrem Golem-Haus, den Architekturprojekten und Filmen und zuletzt in ihrem Tarot-Garten in der Nähe von Grosseto Gestalt werden ließ. Die Nanas bildeten den Auftakt zur Skulpturenmeile, die bis zum Königsworther Platz reicht.
Der Auftrag für die Nanas am Leineufer war der Beginn einer langen, einzigartigen Beziehung zwischen Hannover und der Künstlerin, die sich unter anderem im Auftrag für die Grotte in den Herrenhäuser Gärten fortsetzte und schließlich in der großartigen Schenkung von 300 ihrer Werke an das Sprengel Museum Hannover im Jahr 2000 mündete.
„Wir feiern das Jubiläum von Nikis Schenkung 2025 mit einer spektakulären Ausstellung, die ihre Arbeiten den japanischen Superstars und derzeit weltweit wohl populärsten Künstler*innen Yayoi Kusama und Takashi Murakami gegenüberstellt. Unter dem Titel LOVE YOU FOR INFINITY wollen wir Hannover in einen bunten Liebesrausch durch und für diese Kunst versetzen“, verspricht Dr. Reinhard Spieler, Direktor Sprengel Museum Hannover. Die Ausstellung wird vom 6. September 2025 bis zum 25. Januar 2026 gezeigt. Geplant ist auch, eine vergriffene Publikation, die seinerzeit zur Schenkung herausgegeben wurde, neu aufzulegen.
Größe und Herstellung:
Die kleinste der drei puppenähnlichen Figuren weist eine Höhe von 3,75 Meter auf, die beiden anderen sind 5 Meter hoch. Sie sind aus Polyester und Fiberglas gefertigt. Die farbig angemalten Figuren fügen sich in einem Abstand von fünf bis 15 Metern zu einer Gruppe zusammen. Diese bunte, bewegt wirkende Gruppe vermittelt Heiterkeit, Sinneslust und Vitalität.
Namen:
Auf Initiative der Künstlerin wurden die drei Figurennamen Sophie, Charlotte und Caroline von den Einwohner*innen vorgeschlagen, die auf bedeutende Frauen in Hannover referieren:
Charlotte (kunterbunt)
Charlotte erhielt ihren deutschen Namen im Gedenken an Charlotte Sophie Henriette Buff (1753 Wetzlar-1828 in Hannover). Sie war Vorbild für Goethes Lotte in den Leiden des Jungen Werthers (1753*). Goethe lernte die 19-jährige „Lotte“ 23-jährig auf einem Tanzfest in Volpertshausen kennen. Lotte bezauberte ihn sowohl durch ihre äußerliche Erscheinung als auch durch ihre offene Art. Wie im Werther beschrieben, tanzte er den ganzen Abend mit ihr, und es imponierte ihm, wie Lotte die Festgesellschaft während des Gewitters mit einem Spiel ablenkte. Charlotte war jedoch schon Johann Christian Kestner versprochen. Ihr Grab befindet sich auf dem Gartenfriedhof in Hannover.
„Caroline“ (grüne Arme und Beine)
Caroline Lucretia Herschel (*16. März 1750 in Hannover; †9. Januar 1848 ebenda) war eine deutsche Astronomin, Violinistin und Sängerin. Sie steht auf dem Kopf. Königlicher Hofastronom in Windsor. Sie entschied sich für letzteres und bekam vom Hof eine Anstellung als Gehilfin ihres Bruders mit einem Gehalt von 50 Pfund im Jahr – das erste Gehalt, das je eine Frau für wissenschaftliche Tätigkeit bezog. Nun begann Caroline mit der eigenen Erforschung des Sternenhimmels, sie widmete sich der Kometensuche. In den Jahren von 1786 bis 1797 entdeckte sie acht solcher Schweifsterne.
„Sophie“ (auf einem Bein)
Sophie von Hannover (1630-1714) war Kurfürstin von Hannover und kümmerte sich mit Leidenschaft um die großzügige Ausgestaltung des Großen Gartens in Herrenhausen. Tanzt auf einem Bein mit den Armen in der Luft.